Unwort des Jahres
Bernhard Inderst 16.01.2022
Nun ist es raus. Das offizielle Unwort des Jahres 2021 ist das Wort „Pushback“. Pushback als Bezeichnung für die „Praxis von Europas Grenztruppen, Flüchtende an der Grenze zurückzuweisen und am Grenzübertritt zu hindern“, so der offizielle Wortlaut der Jury in der Pressemitteilung.*
Was ist ein Unwort? Das sind „Wörter und Formulierungen in allen Feldern der öffentlichen Kommunikation, die gegen sachliche Angemessenheit oder Humanität verstoßen“, wie in den Kriterien dazu erläutert wird.
Warum „Pushback“ ein Wort ist, das sachlich unangemessen ist oder gegen die Humanität verstößt und nicht nur ein sachliches Beschreibungswort für ein schlicht illegales Verhalten der Grenzpolizeien ist, kann man in der Erläuterung dazu nachlesen:
„Die Jury kritisiert die Verwendung des Ausdrucks, weil mit ihm ein menschenfeindlicher Prozess beschönigt wird, der den Menschen auf der Flucht die Möglichkeit nimmt, das Menschen- und Grundrecht auf Asyl wahrzunehmen. Den Flüchtenden wird somit ein faires Asylverfahren vorenthalten. Der Einsatz des Fremdwortes trägt zur Verschleierung des Verstoßes gegen die Menschenrechte und das Grundrecht auf Asyl bei. Mit dem Gebrauch des Ausdrucks werden zudem die Gewalt und Folgen wie Tod, die mit dem Akt des Zurückdrängens von Migrant:innen verbunden sein können, verschwiegen. Die Jury kritisiert die in den Medien unreflektierte Nutzung dieses Wortes auch bei Kritiker:innen der Maßnahmen.”* Die Kursivstellung erfolgte von mir.
Unreflektierte Nutzung
Ich finde die Begründung bemerkenswert. Sie gibt uns zu denken auf. Denn wir, die Kritiker*innen, die wir sicher nicht dem Verdacht anhängen, hier etwas beschönigen zu wollen, werden mit dem Vorwurf konfrontiert, dass auch wir das Wort unreflektiert verwenden und damit letztendlich zur Beschönigung und sogar Verschleierung eines menschenfeindlichen Prozesses beitragen würden.
Ich will das nicht zurückweisen. Ich will vielmehr zu bedenken geben, dass wir vielleicht dem Glauben nachhingen, das Wort Pushback an sich beschreibt den Konsens eines Verständnisses für die menschenverachtende Praxis. Richtig aber ist, dass das Wort nichts anderes als „zurückschieben, zurückdrängen“ beinhaltet, so als sei alles ein Spiel, ein „game“, wie manche Geflüchtete diese Praxis oft genug mit einem tödlichen Galgenhumor selber bezeichnen.
Pushpacks und “Games”
Ein „game“ ist es aber nicht. Trotz Zugangsverbot und Ausnahmezustand konnten uns die Bilder von Polen/Belarus das eindeutig zeigen. Oft lagen die Menschen in ihrem eigenen Blut durch Wunden, die sie sich an den Stacheldrähten zugezogen hatten. Wie viele Tote hat dieser Stacheldraht gekostet, obwohl auch hier nach den Prinzipen der Europäischen Menschenrechtscharta und der Genfer Flüchtlingskonvention in Artikel 33 das Gebot der Nicht-Zurückweisung, das „Refoulment“ Prinzip gilt? Kinder, Frauen, junge, alte Männer, ganze Familien wurden wie Vieh behandelt, das man am Eintritt in ein anderes Land hindern wollte.
Auch in Bosnien/Herzegowina und Kroatien konnten wir selber diese „games“ sehen. Es sind aber keine „games“. Geflüchtete ertranken im Fluss beim Zurücktreiben aus den kroatischen Wäldern, traten auf Minen, die seit dem Bosnien Krieg dort immer noch liegen. Wenn sie es aber geschafft haben, wieder an ihren Ausgangspunkt zurückzukommen, dann hatten sie meistens keine Schuhe mehr an, ihre Füße waren kaputtgestochen von den Waldwegen. Ihre Kleidung haben sie bis auf die Unterwäsche ausziehen müssen – im ankommenden Winter ein Akt der Grenzpolizei, der die Todesfolge bewusst mit einbezieht, und das ist kriminell!
Bedrückend auch die Bilder auf den Meeren, sei es im Mittelmeer von Nordafrika, Atlantik zu den Kanarischen Inseln oder wie kürzlich im Ärmelkanal zwischen Frankreich und Großbritannien. Pushback heißt für viele der sichere Tod. Oder die, die dann zurückgekommen sind, z.B. nach Libyen, kommen in den Genuss eines mörderischen Abkommens zwischen der EU und den Kriegsparteien dort und werden in Lagern eingepfercht, wo sie monatelang unter unmenschlichen Bedingungen dahinvegetieren müssen. Das ist die Schande Europas.
Neureflektion dringend notwendig
Es ist richtig, uns in die Pflicht zu nehmen und das Wort Pushback neu zu reflektieren. Pushback verschleiert nach der Erläuterung den Verstoß gegen die Menschenrechte und das Grundrecht auf Asyl. Und es verschleiert, dass viele Geflüchtete dabei ums Leben kommen. Das Wort Pushback impliziert das alles nicht. Es klingt wie ein „Zurückweisen“ heute, ok, dann komm ich eben morgen noch einmal und werde wieder zurückgewiesen. Ein game halt. Die Realität der europäischen Grenzsystematik aber ist Rechtsbeugung, Inkaufnehmen des Todes der Zurückgewiesenen, Unterstützung menschenverachtender Regimes in Drittstaaten – sei es auf dem Weg der Zurückweisung oder dann in den Lagern der Drittstaaten.
Die Sprache bestimmt die Wahrnehmung. Ein Wort kann verharmlosen oder dramatisieren. Auf jeden Fall bestimmt es den Diskurs und damit die Meinungen.
Ich möchte an dieser Stelle alle bitten, uns Eure Gedanken dazu zu schicken (e-mail: ak49@mailbox.org). Wir haben die Pflicht, die Vorgänge als das zu benennen, was sie sind. Wir haben die Pflicht, die Vorgänge dann entsprechend zu bekämpfen, damit sie beendet werden.
*https://www.unwortdesjahres.net/presse/aktuelle-pressemitteilung/